18. September 2024
Afrikanisch-Europäische Neurowissenschaft
Von Imbizo – einer Sommerschule in Südafrika – zum ISTA
„Eine Zusammenkunft, um Wissen zu teilen“: Die Gründer:innen von Imbizo wählten dieses Xhosa-Wort, um ihre Sommerschule für Computational Neuroscience in Südafrika und auf dem afrikanischen Kontinent zu benennen. ISTA Professor Tim Vogels gewann, seit er 2016 Imbizo mitbegründet hat, viele kluge Köpfe sowohl für Imbizo als auch für ISTA. Vier Imbizo-Alumni mit Verbindungen zum ISTA erzählen, wie ihre einzigartigen Erfahrungen sie ins Zentrum eines interkontinentalen neurowissenschaftlichen Netzwerks rückten.
Innerhalb der starken Community von Neurowissenschafter:innen am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) gibt es eine Handvoll junger Forscher:innen, die eine zusätzliche, besondere Verbindung pflegen – und zwar über Kontinente hinweg. Diese Praktikant:innen, Doktorand:innen und Postdocs sind Imbizo-Absolvent:innen aus ganz Afrika und Europa. Ihre Wege kreuzten sich mit denen von ISTA Professor Tim Vogels und Imbizo, der von ihm mitbegründeten Sommerschule für Computational Neuroscience, über mehrere Sommer in der Nähe von Kapstadt in Südafrika. Heute bilden diese jungen Forscher:innen ein einzigartiges interkontinentales Netzwerk mit starken Verbindungen in Afrika, Europa und weltweit.
Die Zukunft der Neurowissenschaften in und mit Afrika gestalten
In Südafrika und auf dem afrikanischen Kontinent sind die experimentellen Neurowissenschaften ein kleiner, aber dynamischer Bereich. Der Betrieb eines technologisch fortschrittlichen Labors ist jedoch mit derart hohen Kosten verbunden, die in den Budgets vieler Einrichtungen im globalen Süden nicht vorgesehen sind. Theoretische Neurowissenschaften hingegen benötigen nicht viel mehr als einen Laptop, Stift und Papier. So wurde dieser schnell aufkommende Bereich unverzichtbar, sowohl für die Analyse der immer komplexeren experimentellen Ergebnisse in den Neurowissenschaften als auch für die Modellierung des Gehirns.
Als Mitbegründer von Imbizo erkannte Vogels in Computational Neuroscience eine Chance für Afrika, in der wettbewerbsintensiven internationalen Forschungsszene der Neurowissenschaften einen nachhaltigen Einfluss zu nehmen. Daher war die Zeit reif, dieses „Imbizo“ zu gründen, eine „Zusammenkunft zum Wissensaustausch“ in der südafrikanischen Sprache Xhosa, der Muttersprache Nelson Mandelas. „Wir haben Imbizo konzipiert, um die erforderliche Infrastruktur für Forschung und Lehre im Bereich der Computational Neuroscience auf dem afrikanischen Kontinent zu verankern. Auf diese Weise wollten wir den Schwerpunkt von der ‚Ausbildung afrikanischer Forscher:innen‘ auf die ‚Versorgung brillanter afrikanischer Köpfe mit den Ressourcen und Werkzeugen für ihre eigene Forschung und Lehre auf internationaler Ebene‘ verlagern“, sagt Vogels.
Die jüngste Imbizo-Absolventin am ISTA, Hager Ali, die die Sommerschule im Jänner dieses Jahres besuchte, hat einen ähnlichen Eindruck: „Imbizo versucht, den Bereich der Computational Neuroscience zu demokratisieren und ihn in Afrika zugänglicher zu machen, damit der Kontinent nicht nur Empfänger, sondern auch Mitwirkender der neurowissenschaftlichen Forschung wird“, sagt sie. Durch die positive Erfahrung mit Imbizo entschied sich Ali, sich der Vogels-Gruppe am ISTA als wissenschaftliche Praktikantin anzuschließen. Lordstrong Akano, der an Imbizo im Jahr 2022 teilnahm, und ebenfalls ein Jahr als wissenschaftlicher Praktikant am ISTA verbrachte, fügt hinzu: „Imbizo ist ein unschätzbares Netzwerk für uns afrikanische Forscher:innen, weil wir auf dem Kontinent ständig mit dem Mangel an Infrastruktur für die Spitzenforschung kämpfen.“
Enormer Einfluss auf Karriere und Leben der Wissenschafter:innen
Die gemeinsame Verbundenheit der jungen Forscher:innen mit Imbizo hat ein starkes Gemeinschaftsgefühl und ein zusammenhängendes Netzwerk geschaffen, das sie am ISTA weiter ausbauen konnten. „Das Ethos der gegenseitigen Unterstützung und des gemeinsamen Lernens sind integrale Bestandteile von Imbizo. Das schafft Bindungen, die weit über das Programm hinaus bestehen“, sagt Ali. Für Basile Confavreux, der sein Doktorat am ISTA absolvierte, hat sich die Verbindung zu Imbizo bei seinem nächsten Karriereschritt noch verstärkt. In seiner derzeitigen Position als Senior Research Fellow an der Gatsby Computational Neuroscience Unit des University College London freut sich der französische Forscher, von zahlreichen Imbizo-Alumni umgeben zu sein. „Ich habe hier eine Zusammenarbeit mit einem Freund begonnen, den ich 2020 bei Imbizo kennengelernt habe. Für mich geht es in der Wissenschaft viel um den Austausch und die Diskussion von Ideen mit Menschen, denen man vertrauen kann, zumindest viel mehr, als ich anfangs dachte. So können neue, spannende Ideen entstehen und der Forschungsdrang bleibt lebendig. Imbizo hat mich mit einer ganzen Schar kluger und wohlwollender Neurowissenschafter:innen bekannt gemacht, die jetzt über die ganze Welt verstreut sind und trotzdem immer für Austausch greifbar sind“, sagt Confavreux.
Etwas zurückgeben: Wissenschaftsvermittlung und Lehre
Der Weg des ISTA-Postdoc Christopher Currin ist ein weiterer Beleg dafür, dass Imbizo starke Verbindungen zwischen den Teilnehmer:innen und Dozent:innen schafft und sie dazu inspiriert, etwas zurückzugeben. Die Teilnahme an Imbizo 2017 motivierte den Kapstädter, selber dazu beizutragen. So wurde er von 2019 bis 2024 Head Teaching Assistant bei Imbizo. „Dadurch konnte ich Fachwissen austauschen und einige meiner Philosophien über das Leben, die Wissenschaft und die Pädagogik teilen“, sagt er. Seit seinem Engagement bei Imbizo hat Currin auch an anderen Workshops in Südafrika mitgewirkt, die sich hauptsächlich mit künstlicher Intelligenz befassen. „Es ist schön zu sehen, welchen positiven Einfluss diese Bemühungen auf die Forschungslandschaft in meinem Land haben.“
Auch Ali möchte zum Wandel beitragen: „Ich möchte etwas zurückgeben an mein Heimatland, den Sudan, und den afrikanischen Kontinent, wo die Ressourcen begrenzt sind und Aufmerksamkeit benötigt wird“, sagt sie. Mit dem Wissen und den Erfahrungen, die sie am ISTA sammelt, möchte sie sich an Initiativen beteiligen, die Forschung und Gesundheitsversorgung quer durch den gesamten Kontinent stärken. Doch im Moment hat sie vor allem ein großes Ziel vor Augen: den Beginn ihres Doktorats.
Als angehender klinischer Wissenschafter, der derzeit sein Studium der Allgemeinmedizin in Nigeria abschließt, hat Akano bereits an medizinischen Einsätzen in abgelegenen Gemeinschaften seiner Heimat teilgenommen. Im Bewusstsein, dass er sich im Ausland spezialisieren müsse, möchte Akano wertvolle Erfahrungen mit modernsten Methoden sammeln, um dann Patient:innen in Nigeria und Afrika die bestmögliche Behandlung ermöglichen zu können. „Nach Abschluss meines Studiums in Nigeria möchte ich erneut ins Ausland reisen, um eine Facharztausbildung in pädiatrischer Neurologie mit einer Spezialisierung auf Neuro-Onkologie und Epilepsie zu absolvieren. Dann bin ich soweit nach Afrika zurückzukehren, um dort in den Gemeinschaften/Communities wirklich etwas zu bewegen. Ich bin dankbar für meine Erfahrungen bei ISTA und Imbizo, die mir diesen Weg ermöglicht haben.“
Im Jänner 2025 wird eine neue Gruppe vielversprechender junger Forscher:innen im südlichen Sommer in der Nähe von Kapstadt zusammenkommen, um bei einem weiteren ‚Imbizo‘ Wissen auszutauschen. „Imbizo wird weiterhin junge kluge Köpfe aus Afrika und der ganzen Welt zusammenbringen, sie ein Leben lang verbinden und ihnen ermöglichen, zu neuen Horizonten zu segeln und andere zu inspirieren“, schließt Vogels, der 2024 von seiner Funktion als Imbizo-Vorstand zurücktritt, aber weiterhin im Organisationsausschuss der Sommerschule tätig bleibt.