31. Oktober 2019
Biochemie trifft Mechanik: die Sensibilität von Zell-Zell-Kontakten in der Embryonalentwicklung
IST Austria PhD-Studentin identifiziert mechanosensitive Zell-Zell-Verbindungen im Zusammenhang mit Zellbewegungen im frühen Zebrafisch-Embryo – Studie erscheint in Cell
Im Forschungsfeld der Zellbiologie häufen sich die Hinweise dafür, dass fein aufeinander abgestimmte mechanische und biochemische Signale wichtige zelluläre Prozesse antreiben. Während die biochemischen Grundlagen solcher Prozesse bereits recht gut ergründet sind, ist über die beteiligten mechanischen Kräfte noch vergleichsweise wenig bekannt. Im Rahmen einer nun im Fachmagazin Cell veröffentlichten Studie identifizierten die PhD-Studentin Cornelia Schwayer und KollegInnen aus der Gruppe des Entwicklungsbiologen Carl-Philipp Heisenberg am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) zusammen mit MitarbeiterInnen des University College London, UK, einen neuartigen Mechanismus der Zell-Zell-Kommunikation im frühen Zebrafisch-Embryo, bei dem mechanische Kräfte mit biochemischen Signalen wechselwirken. Überraschenderweise spielt dabei auch das physikalische Phänomen der Phasentrennung eine Schlüsselrolle.
Sobald die Zebrafisch-Eizelle nach der Befruchtung beginnt, sich zu teilen, bildet sich an der Oberfläche des Eidotters ein kleiner Zellhaufen. Diese ersten embryonalen Stammzellen teilen sich in Folge weiter, um sich zu verschiedenen Arten von Gewebe zu formieren. Dazu müssen sich die einzelnen Zellen allerdings zuerst über die gesamte Dotteroberfläche ausbreiten. Diese Zellbewegung wird durch sich zusammenziehende Aktomyosin-Filamente – ähnlich jener bei der Muskelkontraktion – in der Dotterzelle angetrieben: Ein Netzwerk an Aktomyosin-Filamenten zieht die Zellen vom Zellhaufen ausgehend die Dotteroberfläche entlang, bis eine dünne Schicht embryonaler Zellen die Dottermasse vollständig umschließt. Wie die Aktomyosin-Filamente im Dotter jedoch an die Oberflächenzellen andocken, um diese Zugkräfte ausüben zu können, ist nicht bekannt. Um dies herauszufinden, analysierten Schwayer und ihre KollegInnen eine Reihe von Proteinen, die als verbindende Elemente in Frage kommen könnten – und stießen dabei auf ein spezifisches Zell-Zell-Verbindungsprotein namens ZO-1.
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Während der Frühentwicklung eines Zebrafisch-Embryos breitet sich Epithelgewebe (rot markiert) entlang der Oberfläche der Dotterzelle aus, bis es schließlich die gesamte Zelle umschließt.
© IST Austria – Heisenberg group
Mechanische Kräfte treiben positive Feedbackschleife an
Lange Zeit wurde ZO-1 als so genanntes Tight Junction-Protein und damit Bestandteil enger Zell-Zell-Verbindungsstrukturen vorrangig die Funktion zugeschrieben, den Durchgang von Molekülen und Ionen zwischen Zellen zu begrenzen sowie die Polarität von Oberflächen- und Deckgewebe aufrechtzuerhalten. „Wir hatten nicht erwartet, dass ein Tight Junction-Protein wie ZO-1 neben Gewebeabdichtung und Homöostase-Regulierung noch eine weitere Funktion hat,“ so Schwayer, die kurz vor dem Abschluss ihres PhD-Studiums steht. „Tatsächlich zeigte sich, dass ZO-1 sozusagen als Empfänger für mechanische Signale fungiert, die die Bildung von Tight Junctions, also enger Zell-Zell-Verbindungen im Fischembryo steuern.“
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Nach erfolgter Phasentrennung fließen ZO-1-Proteincluster in Richtung der Grenzschicht zwischen Dotterzelle und Embryonalgewebe, wo sie in enge Zell-Zell-Verbindungen (Tight Junctions) eingebaut werden.
© IST Austria – Heisenberg group
Konkret reagiert ZO-1 auf Spannungsveränderungen im Aktomyosin-Netzwerk der Dotterzelle, an welche Tight Junction-Proteine andocken: Je höher die Spannung, umso mehr ZO-1 häuft sich an den entstehenden Zell-Zell-Verbindungen an. Umgekehrt kontrolliert aber auch ZO-1 die Spannung des Aktomyosin-Netzwerks sowie dessen Fließbewegung im Inneren der Dotterzelle. „Diese positive Feedbackschleife zwischen Tight Junctions und dem Aktomyosin-Netzwerk ist für uns ein Hinweis darauf, dass die Interaktionen zwischen mechanischen und biochemischen Signalen im Zuge der Entstehung von Zell-Zell-Verbindungen eine wichtige und bisher unterschätzte Rolle spielen,“ so Schwayer weiter.
Phasentrennung als Voraussetzung für ZO-1-Transport
Während die WissenschafterInnen sich weiter in den neu identifizierten mechanosensitiven Charakter der Tight Junctions vertieften, stießen sie auf eine weitere Überraschung: „Mithilfe von hochauflösenden bildgebenden Verfahren entdeckten wir, dass sich ZO-1-Proteine ganz ähnlich zu Flüssigkeitstropfen während der Phasentrennung verhalten – ganz so, wie wenn sich Essig und Öl eines Salatdressings wieder voneinander trennen, wenn man es längere Zeit stehen lässt,“ erklärt Schwayer. Das Konzept der Phasentrennung stammt ursprünglich aus der Physik der weichen Materie. Im Zuge der Bildung von Tight Junctions unterstützt dieses Phänomen ZO-1 dabei, auf das Spannungssignal zu reagieren: das Protein wird vom Aktomyosin-Netzwerk nur dann zu den Tight Junctions transportiert und in diese eingebaut, wenn es an der Dotteroberfläche eine Phasentrennung durchläuft, sprich wenn es fusioniert und sich zu kleinen Tröpfchen verdichtet.
Starke Partner: Biologie & Physik
Die Anwendung physikalischer Konzepte wie jenem der Phasentrennung auf biologische Fragestellungen ist für WissenschafterInnen mittlerweile unabdingbar, um Einblicke in die mechanistischen Hintergründe biologischer Prozesse wie eben jenem der Entstehung von Zell-Zell-Verbindungen zu erlangen. Die Beschreibung der mechanischen Grundlagen der Mechanosensitivität von Tight Junction-Proteinen durch Schwayer et al. ist ein weiteres Beispiel für interdisziplinäre Forschung an der Schnittstelle zwischen Biologie und Physik – ein zukunftsträchtiger und für die durch reine Neugierde der WissenschafterInnen getriebene Grundlagenforschung am IST Austria durchaus charakteristischer Ansatz.
Publikation
Cornelia Schwayer, Shayan Shamipour, Kornelija Pranjic-Ferscha, Alexandra Schauer, Maria Balda, Masazumi Tada, Karl Matter & Carl-Philipp Heisenberg. Mechanosensation of Tight Junctions Depends on ZO-1 Phase Separation and Flow. 2019. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2019.10.006
Förderinformation
Der am IST Austria durchgeführte Teil dieses Projekts wurde durch Mittel der Europäischen Union (ERC Advanced Research Grant Nr. 742573) ermöglicht.