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12. November 2024

Die Quantenmechanik zum Leben erwecken

ISTA Assistenzprofessor Julian Léonard macht abstrakte Quanteneigenschaften sichtbar

Der neue Assistenzprofessor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) Julian Léonard erweckt die Quanteneigenschaften der Materie zum Leben und führt sie dadurch aus dem Abstrakten in die Realität. Nachdem er an der ETH Zürich und in Harvard geforscht hat, wechselt Léonard nun von der TU Wien ans ISTA. In diesem Interview spricht er über die zentrale Rolle der Quantenmechanik in der Natur, wie ultrakalte Temperaturen atomare Wechselwirkungen verstärken und was das mit Brettspielen zu tun hat.

Assistant Professor Julian Léonard
Assistenzprofessor Julian Léonard. © ISTA

In der Quantenmechanik sind Dinge möglich, die wir uns in unserer greifbaren Welt nur schwer vorstellen können.

In Ihrer Forschung stoßen Sie an die Grenzen der Quantenphysik und -optik, um neue, exotische Zustände der Quantenmaterie zu realisieren. Was bedeutet „exotisch“?

Stellen wir uns Zustände der Materie als Anordnungen von Atomen mit bestimmten Eigenschaften vor. In der Regel weisen sie eine Art von Ordnung auf, die man beschreiben kann, z. B. die Richtung der Magnetisierung in einem Magneten. In der Materialwissenschaft werden die Aggregatzustände oft aus der Perspektive der klassischen Physik betrachtet, bei der sich Atome wie Teilchen verhalten. Es wird uns aber immer klarer, dass nichts in der Natur ohne die Quantenmechanik existieren kann. Das ist der Bereich, in dem sich winzige Objekte gleichzeitig wie Teilchen und Wellen verhalten. So sucht mein Forschungsteam nach Wegen, um zu verstehen, wie Zustände in der Materie aus einer rein quantenmechanischen Perspektive entstehen. Dadurch stoßen wir manchmal auf neue Quanteneigenschaften, die wir als „exotisch“ bezeichnen. Da die Natur im Grunde quantenmechanisch ist, wollen wir die Grenzen dessen ausloten, was Quantenzustände erreichen können.

Assistant Professor Julian Léonard
Assistenzprofessor Julian Léonard. Léonard erklärt, wie seine Forschungsgruppe die Quantenwechselwirkungen zwischen einzelnen Atomen unter einem optischen Mikroskop betrachten kann. © ISTA

Sie möchten Quantenzustände mit einer komplexen, nichtlokalen Verschränkung entwickeln. Wie können Sie das einfach erklären?

Die Quantenwelt wird von markanten Korrelationen wie der Verschränkung beherrscht. Dieses Phänomen besagt, dass die Eigenschaften zweier Teilchen unabhängig von ihrer physischen Trennung miteinander verbunden bleiben. Durch die Quantenverschränkung zeigt sich die Quantenphysik von ihrer besten Seite. Je stärker ein System verschränkt ist, desto schwieriger ist es für die klassische Physik, seine Eigenschaften ohne Quantenmechanik zu erklären. Deshalb sind Systeme, die viel Verschränkung aufweisen, ein guter Ausgangspunkt, wenn wir neue Quantenphänomene finden wollen.

Was hat Ihr Interesse an Atomen und ihren Eigenschaften geweckt?

Die Quantenmechanik wird oft als zu abstrakt empfunden oder als etwas, das auf einer winzigen Skala passiert. Viele Konzepte in der Physik werden jedoch klarer, wenn man sie von Grund auf aufbaut. Mit meiner Gruppe arbeite ich daran, die Quantenwelt zum Leben zu erwecken – wir machen sie also sichtbar. Wir erforschen die Quanteneigenschaften der Materie buchstäblich vor unseren Augen, indem wir optische Mikroskope und Fluoreszenz verwenden. Spannende Quanteneigenschaften wie beispielsweise die Verschränkung treten bei ultrakalten Temperaturen auf, also bei Temperaturen, bei denen kein anderer Bereich der Physik eine Bewegung feststellen kann. Je kälter die Temperatur, desto größer sind die quantenmechanischen Effekte. Bei diesen ultrakalten Temperaturen werden die Quanteneffekte von der atomaren Skala auf eine Skala ähnlich der Größe einer Zelle vergrößert. Das ist quasi so wie, als ob eine Person einen ganzen Berg bewegen kann.

Das Schöne an der Quantenwelt ist, dass Wissenschafter:innen, sobald sie ihre Regeln verstanden haben, sie wie ein Brettspiel behandeln können.

Wenn wir in die Quantenwelt eintauchen würden, wie würde sie dann von innen aussehen?

Das Schöne an der Quantenwelt ist, dass Wissenschafter:innen, sobald sie ihre Regeln verstanden haben, sie wie ein Brettspiel behandeln können. In der Quantenmechanik sind Dinge möglich, die wir uns in unserer greifbaren Welt nur schwer vorstellen können. Eine Tasse auf einem Tisch kann zum Beispiel nicht durch eine Oberfläche hindurchgehen. In der Quantenwelt aber besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen ein solches Hindernis durchdringt. Wir müssen diese Regeln akzeptieren und lernen, das Spiel zu spielen. Nur dann können wir die Grenzen der Regeln verschieben und an den Rand der Möglichkeiten vordringen, wo man völlig neue Phänomene in den Quantenzuständen der Materie entdecken kann.

ISTA Assistenzprofessor Julian Léonard macht abstrakte Quanteneigenschaften sichtbar. © ISTA

Ihre Gruppe hat vor kurzem die erste Anordnung von einzelnen Atomen erzeugt, die in optischen Pinzetten gefangen sind. Warum ist dies ein wichtiger Meilenstein?

Optische Pinzetten sind fokussierte Strahlen, die einzelne Atome festhalten und bewegen, damit wir sie unter dem Mikroskop mittels Fluoreszenz betrachten können. Wir können also einzelne Atome greifen und sie bewegen, und sie dazu bringen, zu interagieren. Nach zwei Jahren, ist es uns endlich gelungen, einzelne Atome in einer Anordnung optischer Pinzetten zu fangen. Die Atome können in regelmäßigen Abständen oder gar willkürlich angeordnet werden, sodass sie auf programmierte Weise wechselwirken können. So können wir die Verschränkung und die Quantenzustände der Atome erforschen, was uns eine neue spannende Physik eröffnet. Diese Arbeit wird uns letztendlich dabei helfen, Quantencomputer und -simulationen zu verbessern.

Neue Aggregatzustände schaffen. Ein Blick in den Faserresonator, ein Instrument, mit dem neue Aggregatzustände geschaffen werden. Hier werden Photonen zwischen Atomen versendet, die in einer Anordnung optischer Pinzetten gefangen sind. © Léonard Gruppe

Nach Ihrem Doktorat an der ETH Zürich hat Sie Ihr Weg als Postdoc nach Harvard geführt, bevor Sie Ihre Forschungsgruppe an der Technischen Universität Wien gründeten. Warum wechseln Sie nun ans ISTA?

Das ISTA bietet ein außergewöhnlich inspirierendes Forschungsumfeld, und ich schätze den Austausch mit Wissenschafter:innen aus verschiedenen Bereichen sehr. Ich freue mich darauf, mein eigenes hochmodernes Labor aufzubauen und fühle mich hier gut unterstützt. Im Laufe des kommenden Jahres wird meine bestehende Gruppe an der TU Wien auch hier her übersiedeln und mit mir in diesem neuen Umfeld neue Wege beschreiten. Ich freue mich sehr über diesen Neuanfang!



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