17. Februar 2017
Forscherteam entdeckt die physikalische Grundlage der Koordinierung von Gewebe
Oberflächenspannung koordiniert Veränderungen der Gewebeform während der frühen Entwicklung des Zebrafisches – Studie erscheint heute in Developmental Cell
Der kleine gestreifte Zebrafisch beginnt sein Leben als eine einzige große Zelle, die auf einer Dotterzelle sitzt. Während der nächsten drei Tage teilen sich die Zellen und die Gewebe bewegen sich, sodass der Fisch seine endgültige Form annimmt. Aber wie koordinieren Gewebe ihre oft sehr komplizierten Bewegungen? Die physikalische Basis der Gewebekoordinierung während der frühen Entwicklung des Zebrafischs ist Thema einer Studie von Carl-Philipp Heisenberg, Professor am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) und seiner Gruppe, darunter Erstautor und Postdoc Hitoshi Morita, sowie KollegInnen am The Francis Crick Institute in London und dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Bis jetzt war wenig darüber bekannt, wie Gewebe während der Entwicklung ihre Bewegungen sowohl zeitlich als auch räumlich miteinander koordinieren. In ihrer Studie, die heute in Developmental Cell erscheint, untersuchen Heisenberg und Ko-AutorInnen wie Gewebe ihre Bewegungen koordinieren und wie die Kräfte, die für die Bewegung des Gewebes benötigt werden, erzeugt werden. In ihrer Publikation zeigen sie, dass die Zellen an der Oberfläche des Gewebes eine wichtige Rolle für die Koordinierung spielen. Carl-Philipp Heisenberg erklärt: „Eine Verringerung der Oberflächenspannung in den Zellen an der Oberfläche des Embryos ist der zentrale Prozess, der die Bewegungen des Gewebes zu diesem Zeitpunkt koordiniert.“
Die Ausbreitung des Gewebes spielt eine wichtige Rolle bei Entwicklung und Erkrankungen, zum Beispiel bei der Wundheilung. Damit sich ein Gewebe ausbreiten kann, besonders ein komplexes Gewebe mit mehreren Schichten, muss es gleichzeitig dünner werden und sich ausdehnen. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Doming des Zebrafishembryos. Während des Domings wird das Blastoderm, ein Gewebe, das aus Zellen des Oberflächenepithels und inneren mesenchymalen Zellen besteht, dünner und dehnt sich über die Dotterzelle aus. Zwei Bewegungen des Gewebes sind Teil des Domings: die Epithelzellschicht an der Oberfläche weitet sich aus, und innere Zellen schieben sich ein, so dass sich die innere Zellmasse verdünnt und ausbreitet. In der vorliegenden Studie fragten sich Heisenberg und KollegInnen, wie sich diese zwei Bewegungen – Ausdehnung der Oberflächenzellen und Einschiebung der inneren Zellen – während der Ausbreitung des Blastoderms miteinander koordinieren.
Durch die Verbindung von Theorie und Experimenten zeigen die ForscherInnen, dass die Oberflächenzellen die Oberflächenspannung des Blastoderms verringern indem sie sich aktiv ausdehnen. Auffallend ist, dass diese Lockerung an der Oberfläche des Blastoderms nicht nur die Ausdehnung der Zellschicht an der Oberfläche auslöst, sondern auch die Einschiebung der inneren Zellen verursacht und so zur Verdünnung und Ausbreitung der inneren Zellschicht führt. So ist die Verringerung der Oberflächenspannung des Blastoderms der zentrale Prozess, der während des Domings die Ausdehnung der Oberflächenzellschicht mit der Verdünnung und Ausbreitung der inneren Zellschicht koordiniert. Erstautor Hitoshi Morita erklärt die Bedeutung dieser Studie für das Verständnis der Gewebeausbreitung: „Wir enträtselten die krafterzeugenden Prozesse, die das Doming antreiben. Unsere Studie zeigt, dass die Epithelzellschicht durch die Verringerung ihrer Oberflächenspannung gleichzeitig die Ausdehnung und die Verdünnung des Blastoderms antreibt, und so diese beiden Prozesse miteinander koordiniert. Eine koordinierte Ausbreitung von Gewebe ist ein universeller Mechanismus, durch den Embryonen ihre Form annehmen. Um die physikalische Basis der Embryonalentwicklung zu verstehen ist es essenziell, auch die kräfteerzeugenden Mechanismen zu verstehen. Wir haben die bedeutende Rolle der Oberflächenzellen in diesem Prozess entdeckt.“
»Download eines Zebrafischembryos während des Domings