30. Oktober 2024
Hightech-Erfinder startet Professur am ISTA
Machine-Learning-Experte Alex Bronstein verschiebt die Grenzen der KI-Forschung
Von den Anfängen der 3D-Gesichtserkennung bis hin zu großen wissenschaftlich-unternehmerischen Erfolgen – Ingenieur und Informatiker Alex Bronstein ist für bahnbrechende Innovationen bekannt. Er bewegte sich zwischen akademischer Forschung und Privatwirtschaft, um Anwendungen von Forschung zu finden, die die Welt verbessern. Der neue Professor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) möchte Machine Learning (ML) in den Biowissenschaften etablieren. Im Welcome Interview spricht Bronstein über seinen Werdegang und wie er seine vielfältigen Interessen mit KI-Forschung kombiniert.
Sie sind Informatiker, Ingenieur, Erfinder und Unternehmer im Technologiebereich. Wie schaffen Sie es, diese verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen?
Ich betrachte meine Interessen in vielerlei Hinsicht als synergetisch, sie ergänzen und befeuern sich oft gegenseitig. Ich würde mich selbst als einen Ingenieur beschreiben, der sich für wirkungsvolle Forschung und Anwendungen einsetzt, die die Welt verbessern können. Für mich ist die Industrie sehr eng mit der akademischen Forschung verbunden, und ich habe Forschungs-Werkzeuge genutzt, um industrielle Anwendungen voranzutreiben und umgekehrt. Die beiden Sektoren bereichern sich gegenseitig sehr, auch sie sind sozusagen synergetisch.
Sie erforschen Computer Vision und Machine Learning. Was motiviert Sie, Maschinen zu bauen, die lernen, die sehen und die die Welt hören?
Maschinen mit Wahrnehmung auszustatten, ist selbst für die Ingenieur:innen, die sie bauen, ein Rätsel. Es ist ein metaphysischer Akt der Schöpfung, dass der Mensch den Maschinen eine Handlungsfähigkeit verleiht, die es uns ermöglicht, auch etwas über uns selbst zu lernen. Das ist ein sehr befriedigendes Gefühl.
Sie haben nicht nur mehrere Start-ups gegründet, sondern waren auch Principal Engineer bei Intel. Was hat Sie während dieser Zeit geprägt?
Anfang der 2000er-Jahre wagten mein eineiiger Zwillingsbruder Michael Bronstein und ich uns an eine vollständig dreidimensionale Gesichtserkennung. Dafür mussten wir unsere eigenen Streifenprojektions-Kameras bauen. Im Jahr 2012 verkauften wir unsere 3D-Sensortechnologie an Intel und ich wurde Principal Engineer, um sie unter der Marke RealSense weiterzuentwickeln. Eines Tages sah ich eine Fernsehwerbung für das Intel Ultrabook mit RealSense, der ersten 3D-Kamera in einem tragbaren Gerät. Wenn ich mir anschaue, wie wir diese Technologie vom Laborprototypen entwickelten und auf den Markt gebracht haben, ich bin stolz auf unsere jahrelange Arbeit – auch wenn einige der Ideen, auf die ich besonders stolz bin, für die Endbenutzer:innen völlig unsichtbar bleiben. Unabhängig davon, ob und wer die Lorbeeren für eine Erfindung erntet, diese Freude über die Entdeckung von etwas Neuem ist eine meiner stärksten Antriebskräfte.
Wie macht man das, eine neue Technologie erfinden?
Mein Team und ich entwickeln meistens zuerst eine coole Technologie und schauen uns dann an, wofür sie nützlich sein kann. Aber manchmal bauen wir eine Technologie, die auf ein bestimmtes Problem ausgerichtet ist, und sehen dann, wie wir sie für breitere Anwendungen entwickeln können. In der Biotechnologie konnte ich zum Beispiel daran arbeiten, In-Vitro-Fertilisation-Verfahren zu verbessern, biomedizinische Geräte für verschiedene Anwendungen zu entwickeln und über Geräte für die Herzchirurgie zu beraten. Auf einige Aspekte dieser Arbeit bin ich sehr stolz, aber mir wurden auch einige dunkle Ecken des Marktes für medizinische Geräte bewusst.
Neben Ihrer Forschungsgruppe haben Sie das Center for Intelligent Systems am Technion in Israel geleitet. Wie inspirieren Sie potenzielle Kooperationspartner:innen und Teammitglieder?
Die ersten Interaktionen mit Kooperationspartner:innen, angehenden Student:innen und Postdocs sind sehr individuell, und es gibt kein einheitliches Erfolgsrezept. In meiner Gruppe fördere ich das gegenseitige Lernen, symmetrische Interaktionen und die Freiheit zu erkunden. Ich versuche, eine Wolke der Kreativität zu schaffen und aufrechtzuerhalten, damit sich die Fähigkeiten meiner Gruppenmitglieder entfalten können. Ich erinnere mich an meine eigene Zeit als Doktorand – ich habe oft nicht das getan, was mein Doktorvater von mir wollte, aber ich war in Bereichen erfolgreich, die für unmöglich gehalten wurden. Ebenso habe ich einige meiner besten Student:innen immer wieder ermutigt, weniger ausgetretene Pfade zu beschreiten, und ich bin sehr stolz darauf, wohin diese Wege sie geführt haben.
ISTA ist nicht neu für Sie. Sie waren bereits ein Jahr lang Visiting Professor am Campus. Wie gut fühlen Sie sich in das Technologietransfer-Ökosystem am ISTA und xista eingebettet?
Als Gruppenleiter, Gründer und auch als regelmäßiger Investor in Tech-Start-ups habe ich gelernt, dass nichts wichtiger ist als Menschen. Am ISTA treffe ich auf dynamische Köpfe, die offen sind für eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit über die traditionellen Fachgrenzen hinaus. Ich schätze auch, wie schnell und agil das Ökosystem des Technologietransfers am ISTA und xista ist. Es fühlt sich an wie ein Start-up. Für mich ist das ISTA ein echtes Beispiel dafür, wie Wissenschaft im 21. Jahrhundert betrieben werden sollte, ein Ort, der das gegenseitige Lernen und den Blick über den Tellerrand fördert. Die diesjährigen Nobelpreise für Physik und Chemie, die für Technologien verliehen wurden, in denen Machine Learning wissenschaftliche Entdeckungen ermöglichte, veranschaulichen diese Idee sehr schön.
Was möchten Sie am ISTA erreichen?
Ich möchte die Grenzen des maschinellen Lernens für Anwendungen in den Biowissenschaften erweitern. Ich sehe meine Aufgabe darin, strategische Richtungen für Anwendungen in der Struktur- und Zellbiologie sowie in den Einzelzell-Analysen mitzugestalten. Meine Arbeit wird dabei helfen, die Versuchsplanung und Datenerfassungsstrategien für die Nutzung durch das maschinelle Lernen geeigneter zu machen. Die großartige Infrastruktur des ISTA wird uns helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Kürzlich wurde Ihr Bruder Michael Bronstein zum Gründungsdirektor von AITHYRA, dem neuen Institut für KI und biomedizinische Forschung in Wien, ernannt. Wie stellen Sie sich die Zukunft der KI-Forschung in Österreich vor?
Eine der Stärken des Standorts Österreich sind die zunehmenden Investitionen in die ML-Forschung für verschiedene Anwendungen und nicht nur für die Weiterentwicklung des maschinellen Lernens selbst. Mit den bestehenden Forschungszentren und Universitäten wird es viel einfacher sein, diese Brücken zu bauen. Wenn wir in die Anwerbung von Talenten investieren, kann ich mir vorstellen, dass Österreich in fünf Jahren zu einem Exzellenzzentrum für KI in der Wissenschaft und vielleicht zu einem der weltweit führenden Standorte wird.
Ihre Interessen gehen über Wissenschaft und Innovation hinaus und umfassen auch Musik, Fotografie, Poesie, Schreiben, Malen, Kulinarik und Segeln. Lassen Sie so Ihre Gedanken schweifen?
Ich hatte schon immer breit gefächerte Interessen, die ich auch in meiner Arbeit zu berücksichtigen suchte. Seit vielen Jahren interessiere ich mich für Biologie, Finanzen und Musik. Meine derzeitigen Forschungsinteressen decken die Biologie recht gut ab, und eines meiner jüngsten unternehmerischen Abenteuer im Bereich des algorithmischen Handels hat meinen Wunsch nach Kontakt mit dem Finanzwesen erfüllt. Andererseits ist die KI in der Musik für mich eine ganz neue Welt, die es zu erforschen gilt. Es fasziniert mich, wie man während einer Aufführung ein Live-Biofeedback der Wahrnehmung des Publikums nutzen könnte. Alles in allem würde ich sagen, dass ich Schönheit in allen ihren Erscheinungsformen schätze, und das geht weit über die Wissenschaft hinaus.