13. April 2015
Ansteckende Ameisen meiden Gesellschaft
Forscherinnen des IST Austria publizieren im dieswöchigen Sonderheft der Philosophical Transactions of the Royal Society B die Titelstory, gemeinsam mit Kollegen des Helmholtz Zentrums in München • Mit einer Kombination aus Experimenten und epidemiologischen Modellen untersuchen die WissenschaftlerInnen, wie das Reinigungsverhalten die Ausbreitung von Krankheiten in Gesellschaften beeinflusst
Sich selbst zu pflegen und zu versuchen, andere nicht anzustecken, ist eine gute Strategie, um die Ausbreitung einer Krankheit zu vermeiden – nicht nur als rücksichtsvoller Kollege, sondern auch als Ameise, Erdmännchen oder anderes soziales Tier. Dies zeigt ein epidemiologisches Modell, das die Gruppen von Professor Fabian Theis am Helmholtz Zentrum München und Professorin Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) entwickelten. In einem Sonderheft der Philosophical Transactions of the Royal Society B zum „The Society-Health-Fitness Nexus“, das am 13. April 2015 erscheint, kombinieren sie Beobachtungen der hygienischen Interaktionsnetzwerke in Ameisenkolonien mit epidemiologischen Modellen. Daraus schließen sie, dass diese Strategie die beste sei, um die Ausbreitung von Krankheiten in Gruppen sozialer Tiere zu verhindern.
Infektionskrankheiten können sich in Gesellschaften rasch ausbreiten, aber gegenseitige Hygienepflege kann als Gegenmaßnahme dienen. Die Pflege erkrankter Individuen ist nicht auf menschliche Gesellschaften beschränkt, sondern tritt auch in anderen Gruppen sozialer Tiere auf, etwa bei Primaten und sozialen Insekten. Sylvia Cremer und Line Ugelvig vom IST Austria verwenden gemeinsam mit Fabian Theis und Carsten Marr am Helmholtz Zentrum in München Ameisengesellschaften als Modelsystem, um die hygienische Reaktion von Ameisen auf die Gefährdung durch Krankheitserreger im Labor zu beobachten und ihre Auswirkung auf die Krankheitsverlauf mit epidemiologischen Modellen zu bestimmen. In ihrer Studie beobachten sie, wie Gartenameisen (Lasius neglectus) auf den Pilzpathogen Metarhizium reagieren, indem sie sich selbst oder andere Ameisen putzen, und wie oft sie von gesunden Nestmitgliedern geputzt werden. Die ForscherInnen wendeten dann ihr theoretisches Modell an um festzustellen, ob die beobachteten Verhaltensänderungen nach dem Kontakt mit Krankheitserregern adaptiv sind, also die Ausbreitung der Krankheit in der Kolonie aufhalten.
Cremer und KollegInnen beobachteten, dass sich Ameisen, wenn sie dem Pilz ausgesetzt sind, selbst häufiger putzen, aber das Putzen anderer, gesunder Nestmitglieder drastisch reduzieren. Das führt zu einer sozialen Asymmetrie der Reinigung. Ansteckende Ameisen werden dadurch öfter geputzt als sie andere putzen. Die Asymmetrie entsteht aber nicht dadurch, dass die ansteckenden Ameisen öfter geputzt werden, sondern dass sie ihr Putzverhalten einschränken. Epidemiologische Modelle zeigen, dass die beobachteten Verhaltensänderungen helfen, die Ausbreitung des Erregers in der Ameisenkolonie einzudämmen, und eine generell hilfreiche Strategie für alle sozialen Tiere sind, die von einer Epidemie jeglichen Erregers bedroht werden. Sich selbst zu pflegen, aber den Kontakt zu anderen in einer Phase, in der man ein Risiko für die Gesundheit anderer darstellen könnte, einzuschränken, ist daher eine Strategie die einer gesamten, von einem Erreger bedrohten, Gesellschaft nutzt.
Sylvia Cremer ist zudem Ko-Autorin des einleitenden Reviews des Sonderhefts über gesellschaftliches Verhalten und Gesundheit.