25. Juni 2013
Mathematische Medizin
Doktoratsstudierender Johannes Reiter am IST Austria hilft Tumorzellen mit Algorithmen ins Visier zu nehmen • UPDATE (19. Juli): Die Publikation wird in der aktuellen Ausgabe von Nature zitiert
Johannes Reiter, Doktoratsstudierender in der Gruppe von IST Austria Professor Krishnendu Chatterjee, ist Ko-Erstautor einer Publikation mit Krishnendu Chatterjee, Martin Nowak und Bert Vogelstein, die heute in eLife erscheint. eLife ist ein neues open-access Journal in den Lebenswissenschaften, das als gemeinsame Initiative des Howard Hughes Medical Institute, der Max-Planck Gesellschaft und des Wellcome Trust gegründet wurde. In ihrer Publikation mit dem Titel „Evolutionary dynamics of cancer in response to targeted combination therapy” entwickelten die ForscherInnen ein mathematisches Modell, das die Dynamik von Krebszellen während der Kombinationstherapie von soliden Tumoren beschreibt. Mit ihrer Zusammenarbeit wählt das Team von Krebsspezialisten, Biologen und Mathematikern – die bereits letztes Jahr eine Publikation in Nature über Therapieresistenz bei Krebs veröffentlichten – einen zukunftsweisenden Zugang, der die Methoden der Mathematik und der Biologie kombiniert, und die theoretische Grundlage für eine neue Generation von Krebstherapien legt, die mehr Hoffnung für anhaltende Heilung bieten.
UPDATE (19. Juli): Die Publikation wird in der aktuellen Ausgabe von Nature zitiert. Es gilt als seltenes Ereignis, dass die Publikation in einem konkurrierenden open-access Journal wie eLife zum Anlaß für einen Beitrag in der renommierten Nature-Kolumne „News and Views“ genommen wird.
Die gezielte Therapie von soliden Tumoren mit Wirkstoffen wie z.B. vermurafenib führt oft zu einer dramatischen Reduzierung der Tumorgröße. Allerdings ist die Reaktion auf die Therapie nur von kurzer Dauer, da Krebszellen, die gegenüber dem Wirkstoff resistent sind, entstehen und in der Folge zu Therapieversagen führen. Um die hohe Wahrscheinlichkeit der Wiedererkrankung bei der Therapie mit nur einem Wirkstoff zu überwinden, müssen Tumore mit mehreren Arzneistoffen behandelt werden, die auf unterschiedliche Signalwege abzielen. Es wird allgemein angenommen, dass solche gezielten Kombinationstherapien die größte Hoffnung für langfristige Remission bieten, da ähnliche Therapiezugänge in der Behandlung von Patienten mit AIDS und von flüssigen Tumoren wie Leukämie bereits sehr erfolgreich sind. Basierend auf ihrem mathematischen Modell erforschen die WissenschaftlerInnen die Auswirkung von Kombinationstherapien in klinischen Szenarien.
Indem sie klinische Daten von Patienten mit soliden Tumoren verwendeten, evaluierten die ForscherInnen das Potential und die Grenzen von verschiedenen gezielten Kombinationstherapien. Sie fanden heraus, dass Kombinationstherapie nicht zu langfristiger Remission führt, wenn es auch nur eine mögliche Mutation im Genom gibt, welche das Potential hat, Resistenzen zu den verabreichten Wirkstoffen hervorzurufen. Wenn es allerdings keine möglichen Mutationen für Kreuzresistenz gibt, und eine volle Resistenz nur dann erreicht wird, wenn eine Zelle diese Resistenz durch aufeinanderfolgende Mutationen erreicht – wobei jede Mutation die Zelle gegen einen der verwendeten Arzneistoffe resistent macht –, kann eine Kombinationstherapie zur langfristigen Krankheitskontrolle in einer Mehrheit von Patienten führen. Die Therapie mit drei Wirkstoffen ist dann nur bei Patienten mit hoher Tumorlast notwendig. Außerdem zeigen die WissenschaftlerInnen, dass die gängige Praxis, verschiedene Wirkstoffe nacheinander zu verabreichen, ein sicheres Rezept für das Versagen der Therapie ist, und dass das gleichzeitige Verabreichen gezielter Wirkstoffe essentiell für eine langfristige Remission ist. Selbst wenn es mögliche Kreuzresistenz-Mutationen gibt, bietet die gleichzeitige Verwendung von gezielten Wirkstoffen eine Hoffnung auf Heilung, während die sequentielle Therapie mit Sicherheit misslingt. Die ForscherInnen nutzen also die Vorteile einer gleichzeitigen Kombinationstherapie in der Behandlung von soliden Tumoren, und hoffen damit weitere Aktivitäten anzuregen, um in der Entwicklung von Arzneimitteln Wirkstoffe viel früher zu kombinieren.