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5. März 2025

Update fürs Lehrbuch

ISTA-Forschende überarbeiten grundlegendes Wissen über den Auxin-Signalmechanismus in Pflanzen

Karl Popper sagte einst, dass man eine Theorie oder Hypothese nie endgültig beweisen kann. Man kann sie aber falsifizieren und sollte sie rigoros auf ihre Gültigkeit prüfen. So bedeutet wissenschaftlicher Fortschritt oft, dass etabliertes Lehrbuchwissen überdacht und revidiert wird. Eine aktuelle Studie des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) veranschaulicht dies einmal mehr und überarbeitet unser Verständnis des klassischen Signalwegs für das Pflanzenhormon Auxin.

Huihuang Chen blickt auf seine Arabidopsis thaliana-Pflänzchen, die in einer Wachtstumskammer vor sich hinwachsen.
Huihuang Chen blickt auf seine Arabidopsis thaliana-Pflänzchen, die in einer Wachtstumskammer vor sich hinwachsen. Sobald sich die Arabidopsis thaliana-Setzlinge zu kleinen Pflanzen entwickelt haben, gedeihen sie hervorragend bei Temperaturen von 20-22 °C und ausreichendem Licht. © ISTA

Pflanzenzellen sind kraftvolle Maschinen. Externe Signale, die sie erhalten, werden in interne Aktionen umgewandelt, die wiederum das Wachstum oder die Energieumwandlung antreiben. Eine feinabgestimmte Signalkaskade überführt dabei den externen Stimulus in eine Reaktion.

Die kanonischen Signalmechanismen für Auxin, das als wichtigstes koordinatives Signal in Pflanzen wirkt, sind seit Jahrzehnten gut bekannt. Eine neue Studie der Friml Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), die in Nature veröffentlicht wurde, überarbeitet dieses Verständnis. Die Ergebnisse legen nahe, dass an der Auxin-Signalübertragung in Pflanzen der sekundäre Botenstoff cAMP beteiligt ist – ein Schlüsselmolekül, das vor allem aus tierischen Zellen bekannt ist.

Der grüne Daumen

„Tap, tap, tap“, ein Tischtennisball hüpft hin und her. „Zack!“ Vorbei an Huihuang Chens Schläger, segelt der Ball genau in die Ecke. Spiel, Satz und Sieg: Jiři Friml. „An meinen Tischtenniskünsten sollte ich wohl noch arbeiten“, lacht Chen. Beide Wissenschafter warten gespannt darauf, ob ihre neuesten Forschungsergebnisse im Fachjournal angenommen werden – eine nervenaufreibende Zeit für beide. Da ist Tischtennis eine willkommene Ablenkung.

Anders als sein Aufschlag benötigt Chens Begeisterung für Pflanzen und Wissenschaft keinen Boost. Was eher unerwartet an der Universität begann, wurde bald zu einer Leidenschaft. Von der makroskopischen Schönheit bis hin zu den mikroskopischen Feinheiten von Pflanzen, Chen hat buchstäblich einen grünen Daumen – und seine Wohnung voller Sukkulenten und Orchideen. Im Labor gilt sein Hauptaugenmerk jedoch der Ackerschmalwand, auch bekannt als Arabidopsis thaliana (A. thaliana).

Auxin – eines der wichtigsten Hormone für Pflanzen

Schon 1880 wies Charles Darwin auf die Existenz von Auxin hin, einem ein Schlüsselhormon in Pflanzen, das das Wachstum reguliert. Es steuert den Phototropismus (das lichtgesteuerte Wachstum) und den Gravitropismus (also den Prozess, durch den Pflanzen die Schwerkraft wahrnehmen und darauf reagieren), fördert die Zellausdehnung und formt die gesamte Pflanzenarchitektur. Es beeinflusst aber auch die Embryo- und Wurzelentwicklung sowie die Fruchtbildung und wird in der Landwirtschaft häufig zur Züchtung und Ertragssteigerung eingesetzt.

Simplified schematic of the auxin pathway in A. thaliana including cAMP as a new component.
Vereinfachtes Modell des Auxin-Signalwegs in A. thaliana mit der neuen Komponente cAMP. © Carolina Santos Fernandes Lasbarrères Camelo/ISTA

Aber wie macht das Auxin eigentlich? Ein Blick ins Innere der Pflanzenzellen zeigt: Dort bindet das Hormon Auxin an den Rezeptoren TIR1/AFB. Diese Interaktion löst den Abbau von Aux/IAA –Repressoren, die Proteinaktivität blockieren, aus. Ihre Beseitigung führt zu Aktivierung von ARFs (Auxin Response Factors). Diese Proteine, sogenannte Transkriptionsfaktoren, schalten daraufhin Hunderte von Genen an – und programmieren so die Zellen als Reaktion auf Auxin um. Die Komponenten des Signalwegs wurden ausgiebig untersucht und liefern uns ein Lehrbuchbeispiel für einen kanonischen Signalweg. Genau dieses Wissen wurde nun jedoch überarbeitet.

cAMP: Der Signalverstärker

„Unsere neue Studie baut auf der bahnbrechenden Arbeit unseres ehemaligen Kollegen Linlin Qi auf“, erklärt Chen. Qi, ein ehemaliger Postdoc in der Friml Gruppe am ISTA, entdeckte, dass die Auxin-Rezeptoren Adenylatzyklase-Aktivität besitzen. Die Rezeptoren sind also in der Lage, zyklisches Adenosinmonophosphat, kurz „cAMP“, zu produzieren – ein beim Menschen gut charakterisierter Sekundärbotenstoff, der das ursprüngliche externe Signal verstärken kann.

„Dieses Ergebnis war völlig unerwartet und hatte das Potenzial, unser Verständnis der pflanzlichen Hormonsignalübertragung zu revolutionieren. Wir forschten also weiter, um herauszufinden, welche Rolle cAMP bei der Auxin-Signalübertragung spielt“, so Chen weiter.

Mit Qis Erkenntnissen als Ausgangspunkt gingen die Forschenden der Funktion von cAMP im Auxin-Signalweg auf den Grund. Mit einer Kombination aus genetischen, biochemischen und physiologischen Ansätzen testeten sie systematisch, ob cAMP in Pflanzen als echter sekundärer Botenstoff fungiert. Dabei untersuchten sie, wie sich der cAMP-Spiegel als Reaktion auf Auxin verändert und wie diese Veränderungen die Signalvorgänge beeinflussen.

Huihuang Chen (links) und Jiři Friml (rechts).
Huihuang Chen (links) und Jiři Friml (rechts). © ISTA

Die Ergebnisse der eingehenden Untersuchung zeigen, dass cAMP in der Tat ein wichtiger sekundärer Botenstoff in Pflanzen ist. „Ausreichende cAMP-Konzentrationen können die Notwendigkeit der Auxin-Wahrnehmung durch den Rezeptor umgehen und den Auxin-Signalweg direkt aktivieren. Damit ist cAMP ein echter sekundärer Botenstoff in Pflanzen – eine Rolle, die zuvor bei Tieren gut dokumentiert war, bei Pflanzen jedoch stark umstritten war“, fasst Friml die Studie zusammen.

Die Rolle von cAMP lässt sich mit einer Rockband vergleichen, die ihre Musik (das Signal) über Mikrofone (den Rezeptor) verstärkt und über das Soundsystem (den zweiten Botenstoff) in jeden Winkel des Konzertsaals überträgt.

Neue Kapitel aufschlagen

Das bestehende Modell der Auxin-Signalübertragung wird mit den neuen Ergebnissen nicht in Frage gestellt, vielmehr wird es um eine neue Dimension erweitert und überarbeitet. Bestehendes Wissen zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, ist das Herzstück der Grundlagenforschung und eine zentrale Mission des ISTA.

Anwendungen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, könnten von diesen neuen Erkenntnissen profitieren. Wenn man den cAMP-Spiegel manipuliert würde, könnte man das Pflanzenwachstum und die Stressreaktionen feinabstimmen, was zu besseren Erträgen und einer höheren Widerstandsfähigkeit der Pflanzen führen würde. Das Gleiche gilt für biotechnologische Verfahren, bei denen das Verständnis der Funktionsweise von cAMP in Pflanzen dazu beitragen könnte, synthetische Signalwege für die Züchtung von Pflanzen mit gewünschten Eigenschaften zu entwickeln.

Chen hebt den Tischtennisschläger wieder auf und fordert mit neuer Entschlossenheit JiřiFriml zu einem weiteren Match heraus. Vielleicht gewinnt er dieses Mal.

Publikation:

H. Chen, L. Qi, M. Zou, M. Lu, M. Kwiatkowski, Y. Pei, K. Jaworski and J. Friml. 2025. TIR1 produced cAMP as a second messenger in transcriptional auxin signaling. Nature. DOI: 10.1038/s41586-025-08669-w

Projektförderung:

Der ISTA Teil des Projekts wurde durch Mittel aus dem European Research Council (ERC; 101142681 CYNIPS) und dem Österreichischen Wissenschaftsfond (P 37051-B) finanziert.



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