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4. April 2024

Wie Pflanzen ihre Wunden heilen

Forschung weist auf Druckänderungen und mechanische Kräfte hin

Pflanzen sind sehr widerstandsfähig und überleben auch in rauen Umgebungen. Das liegt unter anderem am bemerkenswert effizienten Wundheilungsprozess – den Wissenschafter:innen schon seit mehr als hundert Jahren untersuchen.  Eine neue Studie des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigt nun, dass der Prozess weniger kompliziert ist als gedacht und durch Druck sowie mechanische Kräfte angetrieben wird. Die Ergebnisse, die nun im Fachjournal Developmental Cell veröffentlicht sind, könnten praktische Anwendungen in der Landwirtschaft haben.

Lukas Hoermayer and Jiri Friml in ISTA Plant Facility
Heilung in Pflanzen. Nach seiner Forschung in Jiří Frimls (rechts) Forschungsgruppe, hier in der Plant Facility, am ISTA arbeitet Lukas Hoermayer (links) nun als Postdoc an der Universität Lausanne, Schweiz. © Nadine Poncioni/ISTA

Pflanzenzellen sind äußerst starr. Wie Ziegelsteine in einer Mauer erlaubt diese Eigenschaft den Pflanzen, ihre Form beizubehalten und gegen die Schwerkraft anzukämpfen. Wie in jedem anderen lebenden Organismus kann es trotzdem zu Verletzungen kommen, zum Beispiel durch Wind oder Abgrasen. Während Menschen und Tiere über Zellen verfügen, die sich mit dem Blut bewegen, um Wunden zu erkennen und zu heilen, mussten Pflanzen aufgrund ihrer Starrheit und Unbeweglichkeit einen gänzlich anderen Mechanismus entwickeln. Eine Studie von Lukas Hoermayer und Kolleg:innen, auch aus den Gruppen von Jiří Friml, Eva Benková und Carl-Philipp Heisenberg am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) fand es nun heraus.

Die Wissenschafter:innen verletzten die sogenannte Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) mit einem Laserstrahl und analysierten den anschließenden Wundheilungsprozess auf mikroskopischer Ebene. Die im Journal Developmental Cell veröffentlichten Ergebnisse bieten einen präzisen Einblick in die Vorgänge. Nach einer Verletzung formt sich das Gewebe sofort um und veranlasst die Zellen, sich zu teilen und die Wunde zu verschließen.

Wundheilung in Pflanzen

Lukas Hoermayer interessierte sich schon immer für die Natur. Aufgewachsen am Land, verbrachte er viel Zeit zwischen Feldern und Weinbergen. Seine wissenschaftliche Neugier an Pflanzen entwickelte sich jedoch erst später während seines ISTernship Praktikums. „Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen“, so Hoermayer. Als PhD-Student in Jiří Frimls Forschungsgruppe erforschte er die Wundheilung in Pflanzen – eine Thematik, die Wissenschafter:innen schon seit mehr als einem Jahrhundert beschäftigt. Nun fand gerade er einen Teil der langersehnten Lösung.

ISTA Pink Room
Pflanzen lieben Pink. In der Plant Facility am ISTA werden Tausende von Setzlingen der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) zu Forschungszwecken gezogen. Pinkes Licht (Kombination aus blauem und rotem) fördert das Wachstum der Pflanzen ähnlich wie Sonnenlicht. © Nadine Poncioni/ISTA

In der Wurzel stehen die Pflanzenzellen unter hohem Druck. Wenn das Gewebe beschädigt wird, sterben Zellen ab. Sie platzen auf und Druck entweicht. Dadurch entsteht eine Lücke, die so schnell wie möglich gefüllt werden muss. Sofort reagieren benachbarte Zellen und „strecken“ sich in den Spalt hinein. „Das ist wie zwei Luftballons, die aneinandergepresst sind. Wenn einer der beiden explodiert, verformt sich der andere sofort in Richtung des Geplatzten, um den Druck auszugleichen“, erklärt Hoermayer. Die Zellen dehnen sich aus und beginnen sich (im Gegensatz zu Luftballons) zu teilen. So entstehen neue Zellen, die schließlich die Wunde verschließen. In der Wurzel teilen sich Zellen normalerweise ausschließlich nach unten wegen des Einflusses der Schwerkraft. Hier sind sie jedoch in der Lage, dies in mehreren Richtungen zu tun. Aber wieso?

Mechanische Kräfte im Zentrum des Geschehens

Hoermayer und die Forscher:innen hemmten bestimmte Moleküle, von denen angenommen wurde, dass sie diesen speziellen Teilungsprozess beeinflussen. Die Wundheilung blieb aber unverändert. „Zu unserer Überraschung funktionierte der Prozess weiterhin einwandfrei“, so Hoermayer. Daher verlagerte sich der Fokus auf die mechanischen Aspekte. Um diese zu visualisieren, nutzten die Wissenschafter:innen ein speziell entwickeltes Mikroskop, das mit einem Laser ausgestattet war. Der Laserstrahl verletzte das Pflanzengewebe; die darauffolgenden Ereignisse auf mikroskopischer Ebene wurden detailliert aufgezeichnet.

Durch die Analyse des Videomaterials entdeckten die Forscher:innen, dass Mikrotubuli – dynamische Proteinstrukturen in der Zelle, die während der Teilung bei der Trennung des genetischen Materials helfen – auf mechanische Veränderungen reagieren. Wenn die Zellen gedehnt werden, positionieren sich die Mikrotubuli neu und legen die Ausrichtung der Zellteilung fest, was diese daraufhin auslöst.

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die schieren mechanischen Kräfte, die durch die Dehnung der Zellen entstehen, die Zellteilung bei der Wundheilung antreibt“, erklärt Hoermayer.

Landwirtschaftliche Ökosysteme verbessern

Ähnlich wie andere aktuelle ISTA-Publikationen zeigt diese Studie, dass die Gewebeentwicklung und -regeneration durch Prinzipien der Mechanik erklärt werden können. Außerdem unterstreicht sie einmal mehr die äußerst effiziente Wundheilung der Pflanzen. Eine notwendige Tatsache, da sie ständig den Elementen Natur ausgesetzt sind und aufgrund des fortschreitenden Klimawandels noch mehr an Bedeutung gewinnt.

Angesichts der umweltbedingten Herausforderungen birgt das Verständnis der Wundheilungs- und Regenerationsprozesse von Pflanzen viele Möglichkeiten für die Landwirtschaft. „Landwirt:innen könnten diese Details bei der Umstellung auf widerstandsfähigere Kulturen und robuste Pflanzen für raue Bedingungen wie extrem salzhaltige oder sandige Böden berücksichtigen“, erklärt Hoermayer.  Die Optimierung und Förderung des natürlichen Regenerationsprozesses trägt auch dazu bei, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten, da der Verzicht auf Chemikalien die Auswirkungen auf die Umwelt verringern könnte.

Lukas Hoermayer In ISTA Pink Room
Lukas Hoermayer in der Plant Facility am ISTA. © Nadine Poncioni/ISTA

Publikation:

L. Hoermayer, J. C. Montesinos, N. Trozzi, L. Spona, S. Yoshida, P. Marhava, S. Caballero-Mancebo, E. Benková, C.P. Heisenberg, Y. Dagdas, M. Majda & J. Friml. 2024. Mechanical forces in plant tissue matrix orient cell divisions via microtubule stabilization. Developmental Cell. DOI: 10.1016/j.devcel.2024.03.009

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde durch Mittel vom Europäischen Forschungsrat im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Union 396 (FP7/2007-2013) / ERC Grant Agreement Nr. 742985, vom FWF im Rahmen des Stand-alone Grant 397 P29988 und von EMBO (ALTF 253-2023) unterstützt.



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