20. April 2017
Kooperation entwickelt sich durch längeres Gedächtnis
Ein langes Gedächtnis führt in manchen Dilemmas zu Kooperation | Wissenschaftler des IST Austria entwickeln eine neue Methode um Schwierigkeiten in der Analyse von Kooperationsstrategien zu überwinden.
Wenn wir die Entscheidung treffen, ob wir mit jemandem kooperieren oder nicht, dann gründen wir unsere Entscheidung üblicherweise auf frühere Erfahrungen und auf zukünftige Gegenseitigkeit: Wie hat sich die Person in der Vergangenheit verhalten? Wird die Person den Gefallen erwidern? Diese Antworten wägen wir dann gegen die Vorteile ab, die sich möglicherweise durch abtrünniges Verhalten ergeben können. Versucht man aber, Strategien in wiederholten Dilemmas zu analysieren und ein Langzeitgedächtnis zu modellieren, so wird die Berechnung bald unlösbar. In der Vergangenheit haben Forscher daher die möglichen Typen von Strategien eingeschränkt oder den Spielern nur erlaubt, ihre Entscheidungen nur auf der Basis der vorigen Spielrunde zu treffen. Das nennt man „memory-1“. Nun haben Wissenschaftler am IST Austria und ihre Kollegen einen alternativen Zugang vorgeschlagen um diese Dilemmas zu modellieren.
Ein grundlegendes und wichtiges Beispiel einer sozialen Situation ist das sogenannte Gefangenendilemma. Dabei erhalten zwei Personen dieselben Optionen: zu schweigen oder den anderen zu verraten. Schweigen beide, bekommen sie beide ein Jahr im Gefängnis. Plaudert einer aus, während der anderer schweigt, kommt der Verräter frei und der andere bekommt drei Jahre Gefängnis. Reden beide, bekommen sie beide jeweils zwei Jahre. Für wiederholte Versionen dieses Spiels wurden bereits eine Menge von memory-1 Strategien gefunden, darunter auch die „Win-Stay Lose-Shift“ (WSLS) Strategie, bei der die Gefangenen so lange kooperieren beziehungsweise den anderen verraten, bis diese Strategie einen nicht wünschenswerten Ausgang nimmt. Können die Spieler sich aber an die letzten zwei Runde erinnern („memory-2“), so gibt es 65.536 Strategien, und können sie sich gar an drei Runden erinnern („memory-3“), erhöht sich die Zahl auf 1,84∙1019 – eine nicht mehr zu berechnende Frage, ganz zu schweigen von Situationen mit mehr als zwei Spielern.
Um diese berechnungstechnische Herausforderung zu lösen, haben Wissenschaftler am IST Austria und ihre Kollegen nun einen alternativen Zugang vorgeschlagen um diese Dilemmas zu modellieren: Sie haben ein Set von Axiomen herausdestilliert, das jede robuste Kooperationsstrategie haben sollte, und sie charakterisieren die Strategien, die diese Bedingungen erfüllen. Auf diese Weise verkürzen sie die Berechnungen, die für eine ergebnisoffene Suche aller Strategien nötig sind. Insbesondere halten ihre Axiome drei Eigenschaften fest, die jede erfolgreiche Strategie haben sollte: sie soll 1) gegenseitig kooperativ sein, 2) in der Lage sein, Fehler auszubessern und 3) Verrat ausreichend vergelten. In der Graphik bezeichnen die Abkürzungen MC, EC und RE die drei Bedingungen. „C“ steht für Kooperation, „D“ für Verrat. Die erste Bedingung steht dafür, dass nach Runden mit gegenseitiger Kooperation die Kooperation fortgesetzt wird. Die zweite bedeutet, dass ein Spieler der einen Fehler gemacht hat, nach einer bestimmten Anzahl von Runden zu einer gegenseitigen Kooperation zurückkehrt. Und die letzte schützt die Gruppe vor Spielern, die den Altruismus der anderen ausnutzen oder die die Gruppe zu altruistisch und daher verwundbar machen würden.
Sie haben festgestellt, dass Spieler mit diesen Strategien und Erinnerungen mit der Länge k (das heißt, sie erinnern sich an die vergangenen k Runden des Spiels) nur dann zusammenarbeiten, wenn alle Spieler in den letzten k Runden die gleichen Handlungen gesetzt haben, also wenn sie alle kooperierten oder alle ihre Mitspieler verrieten. Das führte zum Namen „all-or-none“ („alle oder niemand“, AONK) Strategien. Die WSLS-Strategie ist ein Fall von AON1. Die Wissenschaftler zeigen darüber hinaus, dass sich diese Strategien natürlich in einer Vielzahl unterschiedlicher sozialer Dilemmas und für Gruppen von beliebiger Größe entwickeln. Natürlich muss nicht jede kooperative Strategie eine AONK-Strategie sein, um stabil zu sein. Allerdings haben die Autoren numerische Ergebnisse, die darauf hinweisen, dass „all-or-none“ Strategien (oder verzögerte Versionen davon) alle memory-2-Strategien für das Gefangenendilemma ausmachen. Sie treffen auch mehrere Vorhersagen: Erstens, wenn sich die Kooperation im Kontext eines sozialen Dilemmas entwickelt, ist dies das Ergebnis von Strategien des Typs „all-or-none“. Zweitens entwickelt sich die Kooperation unter vernünftigen Bedingungen leichter in memory-2-Strategien als in memory-1-Strategien. Mit anderen Worten, ein längeres Gedächtnis erhöht die Chance, dass sich eine Kooperation entwickelt. Die Gruppe untersuchte außerdem die Implikationen des Falls in dem Spieler sich nur daran erinnerten, wie oft andere Spieler kooperierten (und nicht wann). In diesem Fall führte das längere Gedächtnis nicht zu einem höheren Grad an Kooperation. Erfolgreiche Strategien hängen also nicht nur vom Grad der bisherigen Zusammenarbeit, sondern auch von deren Kontext ab.
Krishnendu Chatterjee kam 2009 an das IST Austria und wurde im Jahr 2014 zum ordentlichen Professor. Er und seine Forschungsgruppe interessieren sich für Spieltheorie und computergestützte Verifikation, und eine Spezialität der Gruppe ist die evolutionäre Spieltheorie. Post-Doc Christian Hilbe interessiert sich insbesondere für die Anwendung der evolutionären Spieltheorie in der Wirtschaft und Biologie: „Es ist faszinierend zu sehen, wie Mathematik verwendet werden kann, um menschliches und tierisches Verhalten in einer Vielzahl unterschiedlicher Situationen zu beschreiben.“