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6. Dezember 2024

Nächstenliebe

Wie Nachbarschaftsstrukturen die Zusammenarbeit verbessern

Helfe ich dem Nachbar oder der Nachbarin? Kümmere ich mich um meine eigenen Angelegenheiten? Wofür man sich auch entscheidet, beides hat unterschiedlichste Vorteile. Die Spieltheorie bietet hierfür eine Orientierungshilfe, zumindest aus theoretischer Sicht. Jakub Svoboda und Krishnendu Chatterjee am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigen nun neue Netzwerkstrukturen, die die Zusammenarbeit in einem System verbessern. Die Erkenntnisse haben potenzielle Anwendungen auch in der Biologie.

Jakub Svoboda. Der Doktorand ist in seinem vierten Jahr am ISTA. Er nutzt seine mathematischen Kenntnisse, um sich in die Evolutionsdynamik zu vertiefen. © Zuzana Drázdová

Die Frage der Zusammenarbeit beschäftigt Wissenschafter:innen schon seit langem. Ob in der Biologie, der Soziologie, der Wirtschaft oder der Politikwissenschaft – herauszufinden, unter welchen Umständen eine Gruppe von Individuen erfolgreich sein kann, hat große Bedeutung. Die Spieltheorie analysiert die Interaktion von Individuen innerhalb einer Gruppe und gibt Antworten auf diese Frage, zumindest aus mathematischer Sicht.

Die Chatterjee Gruppe am ISTA nutzt eben diese Spieltheorie, um zentrale Fragen der Informatik zu beantworten. Ihr neuester Ansatz, der im Journal PNAS veröffentlicht wurde, gibt nun Aufschluss darüber, wie bestimmte Strukturen benachbarter Individuen die Zusammenarbeit in einem System fördern können.

Das Gefangenendilemma

Die Spieltheorie wurde erstmals im Buch „The Theory of Games and Economic Behavior“ vorgestellt, das 1944 von den Mathematikern und Wirtschaftswissenschaftern Oskar Morgenstern und John von Neumann veröffentlicht wurde. Bald darauf entwickelte sich das Gefangenendilemma zum zentralen Thema der Spieltheorie. „Es ist ein einfaches ‚Spiel‘, das die Optionen beschreibt, die wir in vielen realen Szenarien vorfinden“, erklärt Jakub Svoboda, Doktorand und Erstautor der Studie.

Das ursprüngliche mathematische Konzept sieht zwei Gefangene vor, die die Möglichkeit haben, sich gegenseitig zu verraten oder zu kooperieren. Wenn sie beide kooperieren, teilen sie sich eine beträchtliche Belohnung. Wenn einer kooperiert und der andere verrät, erhält nur der Verräter den Vorteil. Dieser wäre in diesem Fall sogar größer als der jeweilige Anteil, wenn beide kooperieren würden. Verraten sich jedoch beide Spieler gegenseitig, erhält niemand den Gewinn. Die gleiche Logik gilt nicht nur für dieses Szenario, sondern auch für das Wettrüsten zwischen Ländern, das Leben von Bakterien oder sogar für alltägliche Situationen wie die Entscheidung, wer die Spülmaschine in einer gemeinsamen Büroküche ausräumen soll.

Ausgehend vom ursprünglichen mathematischen Modell scheint es so, dass Verrat für den Einzelnen am vorteilhaftesten ist. Dennoch kann man in realen Situationen immer wieder Kooperation beobachten. Wie kommt das?

„Verschiedene Mechanismen können die Zusammenarbeit fördern“, erklärt Svoboda. „Einer davon ist die Reziprozität, die besagt, dass wir durch die Wiederholung bestimmter Handlungen Vertrauen aufbauen und dann kooperieren können.“ Ein Beispiel: Sie sehen, dass Ihr Kollege oder Ihre Kollegin jeden Tag die Spülmaschine einräumt. Ihre Lieblingstasse ist dadurch immer sauber und bereit für Ihren Morgenkaffee. Daraufhin beginnen Sie vielleicht, ihm oder ihr beim Ausräumen der Spülmaschine zu helfen – es kommt zu einem gegenseitigen Austausch von Handlungen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Art und Weise, wie die einzelnen Personen miteinander verknüpft sind, d. h. die Struktur des jeweiligen Netzwerks. Um diese Strukturen zu testen, verwenden die Forschenden der Chatterjee Gruppe am ISTA sogenannte „räumliche Spiele“.

Kooperations-Tetris

Bei diesen räumlichen Spielen werden Individuen auf einem Gitter, eine Art Schachbrett, platziert und interagieren auf der Grundlage ihrer räumlichen Beziehungen. Entweder kooperieren sie oder nicht. Sobald ein Spiel startet, können Individuen ihre Nachbarn beobachten. Eventuell sehen sie, dass diese gut abschneiden und übernehmen daraufhin ihre Strategien. Diese Verknüpfung beeinflusst die Verbreitung der Kooperation. Es bilden sich Netzwerke (oder Cluster), die sich auf die allgemeine Dynamik des gesamten Systems auswirken. Dies ist vergleichbar mit dem Tetris-Spiel auf dem Game Boy, bei dem ein einzelner Block seine Umgebung beeinflussen und die Platzierung der nachfolgenden Blöcke bestimmen kann, was letztendlich das gesamte System zusammenführt.

„Es ist bekannt, dass solche zusammenhängenden Strukturen die Kooperationsrate leicht erhöhen“, fährt Svoboda fort. „In unserer neuen Studie untersuchten wir das optimale Szenario.“ Dabei ließen sich die Wissenschafter:innen von der natürlichen Evolution inspirieren, in der die ständige Selektion von Strukturveränderungen die Dynamik einer ganzen Population erheblich beeinflussen kann. Ein klassisches Beispiel hierfür sind die Darwin-Finken: Diese Singvögel entwickelten verschiedene Schnabelformen, die an das unterschiedliche Nahrungsangebot auf den verschiedenen Galápagos-Inseln angepasst sind.

„Wir hofften, dass Strukturen bei räumlichen Spielen eine ähnlich starke Rolle spielen könnte“, so Svoboda. Anhand ihres neuen mathematischen Ansatz entdeckten die Wissenschafter nun Formen, die die Zusammenarbeit in solchen räumlichen Spielen fördern könnten. „Unsere Strukturen haben eine überraschend hohe verstärkende Eigenschaft, die beste, die wir je gesehen haben“, fügt er hinzu. Die Strukturen ähneln einer Sternenkette und erfordern, dass Gebiete mit vielen Nachbarn neben Gebieten mit nur wenigen Nachbarn liegen.

Wie dieses neue Modell und dessen Netzwerkstrukturen auf die Gesellschaft angewendet werden können, bleibt abzuwarten. In den nächsten Monaten werden Svoboda und seine Kolleg:innen  aus der Chatterjee Gruppe daran arbeiten, ihre Ergebnisse auf andere Spiele und unterschiedliche Umgebungen zu verallgemeinern. Aufgrund der breiten Anwendungsmöglichkeiten für räumliche Spiele könnten die neu vorgeschlagenen Strukturen jedoch auch den Weg in die Biologie finden. Biolog:innen könnten die neuen Strukturen nutzen, um die Evolution in so genannten „Bioreaktoren“ zu beschleunigen. Das sind Geräte mit einer kontrollierten Umgebung, die für die Kultivierung von Mikroorganismen eingesetzt werden – in der Forschung oder in der Industrie, z. B. in der Biotechnologie oder Pharmazie.

Publikation:

Jakub Svoboda & Krishnendu Chatterjee. 2024. Amplifiers of Cooperation for Spatial Games. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2405605121

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde durch Mittel aus dem European Research Council (ERC) CoG 863818 (ForM-SMArt)  und des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) 10.55776/COE12 unterstützt.



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