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28. Mai 2021

Wie Retroviren ansteckend werden

Wissenschafter am IST Austria entdecken, wie sich das mit HIV verwandte Rous-Sarkom-Virus zusammensetzt und treiben so die Virusforschung voran.

Um Viren besser bekämpfen zu können, ist es wichtig, jeden Schritt in ihrem Lebenszyklus zu verstehen. Wissenschafter am Institute of Science and Technology (IST) Austria konnten nun zeigen, wie ein Virus aus der Familie der Retroviren, zu der auch das HI-Virus gehört, seine genetische Information schützt und infektiös wird. Außerdem zeigen sie, dass das Virus deutlich flexibler ist als gedacht. Ihre Studie ist soeben im Magazin Nature Communications erschienen.

Viren sind perfekte molekulare Maschinen. Ihr einziges Ziel ist es, ihr Erbgut in gesunde Zellen einzuschleusen und sich so zu vermehren. Mit tödlicher Präzision können sie dadurch Krankheiten verursachen, die Millionen von Menschenleben kosten und die Welt in Atem halten. Ein Beispiel für ein solches Virus, das jedoch zurzeit weniger Beachtung findet, ist HIV. Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren starben in der andauernden globalen AIDS-Epidemie allein im Jahr 2019 690.000 Menschen an den Folgen der Virusinfektion. „Wenn man den Feind kennen will, muss man alle seine Freunde kennen“, sagt Martin Obr, Postdoc in der Schur-Gruppe am IST Austria. Gemeinsam mit seinen Kolleg_innen erforscht er deshalb ein Virus, das zur gleichen Familie wie HIV gehört – das Rous-Sarkom-Virus, das bei Geflügel Krebs verursacht. Mit Hilfe des Virus konnte er nun zeigen, wie wichtig ein kleines Molekül für den Aufbau dieser Art von Viren ist.

Martin Obr © IST Austria
Martin Obr © IST Austria
Florian Schur (c) IST Austria
Florian Schur © IST Austria

Den Bauplan schützen

In ihrer Studie, die soeben im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde, hat sich das Team gemeinsam mit Kolleg_innen der Cornell University und der University of Missouri auf die späte Phase der Vermehrung von Retroviren konzentriert. „Es ist ein weiter Weg von einer infizierten Zelle bis zum reifen Viruspartikel, das eine andere Zelle infizieren kann“, erklärt Erstautor Martin Obr. Wenn sich ein neues Viruspartikel aus einer Zelle löst, ist es vorerst noch unreif, also nicht infektiös. Anschließend bildet es eine Schutzhülle, ein sogenanntes Kapsid, um seine genetische Information und wird infektiös. Diese Schutzhülle besteht aus einem Protein, das in Hexamere und einigen Pentamere gegliedert ist. Das Team entdeckte, dass ein kleines Molekül namens IP6 entscheidend ist, um diese Proteinhülle im Rous-Sarkom-Virus zu stabilisieren.

„Ist die Schutzhülle nicht stabil, könnte die genetische Information des Virus vorzeitig entweichen und zerstört werden, ist sie aber zu stabil, kann das Genom gar nicht austreten und wird somit nutzlos“, so Assistenzprofessor Florian Schur. In einer früheren Studie konnten er und seine Kolleg_innen nachweisen, dass IP6 bedeutend für den Aufbau von HIV ist. Nun hat das Team gezeigt, dass es auch in anderen Retroviren eine Rolle spielt und somit überaus wichtig im Lebenszyklus dieser Viren ist. „Wenn man ein Auto baut, gibt es viele große Metallteile, wie die Motorhaube, das Dach und die Türen, und es gibt die Schrauben, die alles verbinden. In unserem Fall sind die großen Teile die Kapsidproteine und die IP6-Moleküle sind die Schrauben“, sagt Obr.

Struktur der Schutzhülle. Die Proteine des Viruskapsids, das die genetische Information enthält, sind in ihrer Form viel flexibler als bisher angenommen. Die kleinen IP6-Moleküle (0:38) stabilisieren die Proteinhexamere (grau) und -pentamere (orange). © Martin Obr, IST Austria

Unerwartet vielseitig

Um die Viren im Detail betrachten zu können, entwickelte Martin Obr die Kryo-Elektronentomographie weiter – eine Technik, die es Forschenden erlaubt, sehr kleine Proben in ihrem natürlichen Zustand zu betrachten. So konnte das Team sehen, wie vielseitig die Formen sind, die die Kapsidproteine einnehmen. „Nun fragen wir uns: Warum verändert das Virus die Form seines Kapsids? Woran passt es sich an?“, so Postdoc Martin Obr. Unterschiedliche Kapsidformen innerhalb desselben Virustyps könnten darauf hinweisen, dass nicht alle Viruspartikel gleich ansteckend sind. „Was auch immer geschieht, hat einem Grund, aber es gibt noch keine klare Antwort“, sagt Florian Schur. Die Weiterentwicklung der Technik, um diesen hochoptimierten Erregern auf den Grund zu gehen, bleibt für die Wissenschafter eine herausfordernde und faszinierende Aufgabe.

Publikation

Martin Obr, Clifton L. Ricana, et al. 2021. Structure of the mature Rous sarcoma virus lattice reveals a role for IP6 in the formation of the capsid hexamer. Nature Commmunications. DOI: 10.1038/s41467-021-23506-0

Projektförderung

Dieses Projekt wurde mit Mitteln des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF an Florian K. M. Schur finanziert.



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