28. Februar 2020
Der Anfang bestimmt das Ende – klassische Physik erlaubt Zugriff auf wechselwirkende Quantensysteme
WissenschafterInnen und Kooperationspartner des IST Austria entdecken überraschende Effekte unterschiedlicher Ausgangskonfigurationen in Quanten-Vielkörpersystemen. Mit Hilfe von Konzepten der klassischen Physik, die auf Quantensysteme angewandt wurden, fanden die WissenschafterInnen einen Weg, nach den "am wenigsten chaotischen" Anfangsbedingungen in wechselwirkenden Quantensystemen zu suchen. Studie veröffentlicht in der Physical Review X.
IST Austria Postdoc Alexios Michailidis und Professor Maksym Serbyn haben zusammen mit Mitarbeitern der Universität Genf und der Universität Leeds erfolgreich die klassische und die Quantenphysik miteinander verbunden, um die “am wenigsten chaotischen” Ausgangskonfigurationen zu finden. Die jetzt in der Zeitschrift Physical Review X veröffentlichte Studie bietet eine Methode zum Aufspüren der am wenigsten chaotischen Ausgangskonfigurationen und gibt konkrete Beispiele, die in zukünftigen Experimenten getestet werden könnten.
In der klassischen Welt sind wir mit dem Chaos vertraut – unregelmäßiges und unvorhersehbares Verhalten komplexer Systeme, wie z.B. Wetter, Planetenbewegungen oder Turbulenzen. Das Chaos schränkt unsere Fähigkeit ein, das zukünftige Verhalten klassischer Systeme vorherzusagen, selbst wenn das theoretische Modell gut bekannt ist. Quantensysteme zeigen ein in vielen Aspekten ähnliches Verhalten. Über die Bedeutung des klassischen Chaos für wechselwirkende Quantensysteme ist jedoch nicht viel bekannt. Der IST-Austria-Professor und Boltzmann-Preisträger 2019, Maksym Serbyn, hat zusammen mit dem Postdoc Alexios Michailidis und Mitarbeitern der Universität Genf und der Universität Leeds eine spezifische Verbindung zwischen klassischem Chaos und Quantensystemen hergestellt.
Die Ausgangskonfiguration, die am wenigsten anfällig für Chaos ist
Die Ausgangsbedingungen können das Verhalten eines klassischen Systems stark beeinflussen. Stellen Sie sich diese beiden Situationen bei einem Wiener Ball vor: Die Musik beginnt. Alle Partner stehen nebeneinander, oder sie sind über den gesamten Tanzsaal verstreut. Im ersten Fall sieht man eine perfekte Choreographie, während man im zweiten Fall höchstwahrscheinlich regelrechtes Chaos beobachten wird. Aus dieser Anfälligkeit klassischer Systeme für ihre Anfangsbedingungen konnten die Wissenschaftler eine Richtlinie angeben, welche Anfangszustände konstruiert werden sollten, um das langsamste Entspannungsverhalten in Quantensystemen zu erreichen. Einige dieser Anfangsmuster sind in den so genannten Ketten von Rydberg-Atomen realisierbar, wo sie zu einer langlebigen Schwingung führen.
Die Brücke zwischen klassischer Physik und der Quantenwelt
IST-Professor Maksym Serbyn über die jüngsten Erkenntnisse: “Was mir an diesem Projekt am meisten gefällt, ist, dass es nun die Quanten-Vielkörper- und die klassische Physik zusammenbringt. Es hat bereits experimentelle Vorhersagen generiert, die hoffentlich sehr bald getestet werden.” Postdoc Alexios Michailidis: “Die Verbindung zwischen der Vielkörper-Quantendynamik und der Phasenraumstruktur des näherungsweise klassischen Systems könnte einen Weg zur Verallgemeinerung des Wenig-Körper-Chaos zu Vielkörper-Quantensystemen bieten.”
Über die Serbyn-Gruppe bei IST Austria
Professor Maksym Serbyn ist seit 2017 bei IST Austria tätig. Der Schwerpunkt seiner Gruppe ist das Verständnis der Mechanismen des Thermalisierungszusammenbruchs in Quantensystemen im Nichtgleichgewichtszustand. Der MIT-Absolvent von 2017 erhielt einen ERC Starting Grant und den Boltzmann-Preis der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft 2019.
Publication
A. A. Michailidis, C. J. Turner, Z. Papić, D. A. Abanin, M. Serbyn. 2020. Slow quantum thermalization and many-body revivals from mixed phase space. Physical Review X. DOI: 10.1103/PhysRevX.10.011055